Freiberuflicher Ingenieur – Wagnis in schwerer Zeit
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Der Angestelltenstatus als Einschränkung der Kreativität
Trotz aller Sicherheiten und Annehmlichkeiten des Angestellten daseins fühlt Hermann Papst sich angebunden und eingeschränkt. Regelmäßig zeichnet und konstruiert er bis in die späten Abend- und Nachtstunden hinein und tritt verständlicherweise seinen Dienst am folgenden Tag etwas später an. Das kollidiert mit dem allgemeinen zeitlichen Ablauf des Betriebes; doch braucht er Spielraum und Autonomie in der Bestimmung seines Forschens und Entwickelns.
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Auf eigenen Füßen
1937 scheidet Hermann Papst bei Dual aus und gründet ein Ingenieurbüro für die Entwicklung von Neukonstruktionen, das zunächst in der Friedrichstraße im Hause der Schreinerei Heß untergebracht ist. Nach kurzer Zeit zieht er jedoch weiter in die Hauptstraße 20, die heutige Löwengasse. Hier zeichnet, konstruiert und experimentiert Hermann Papst, zunächst nur unterstützt von einer Sekretärin, später kommen gelegentlich Helfer und stundenweise Feinmechaniker sowie die heranwachsenden Söhne hinzu. Die Familie, Schwäger und Schwägerinnen sehen diesen Schritt aus der Sicherheit einer gut dotierten Angestelltenposition in einem florierenden Unternehmen in die Ungewissheit des freien Berufs mit Sorge.
Hermann Papst ist nicht nur Theoretiker und Konstrukteur,
sondern weiß seine Ideen auch in der Werkstatt zu erproben.
Diese Aufnahme zeigt ihn an der Drehbank um 1940.
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Hermann Papst hat den Schritt in die Selbstständigkeit sicher nie bereut. Doch sind die ersten Jahre nicht nur voller ökonomischer Risiken, sondern auch voller Arbeit und Anstrengungen. Er ist vom Wehrdienst freigestellt, kann also seinen technischen und erfinderischen Arbeiten weiter nachgehen. Freigestellt ist er aufgrund kriegswichtiger Entwicklungsarbeiten.
Erster Werbeprospekt für den bahnbrechenden Außenläufermotor
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Siegeszug der Rundfunkindustrie
Entscheidende wirtschaftliche Grundlage für Hermann Papst und seine große Familie wird die Rundfunkindustrie, die im Dritten Reich aus politischen Gründen eine beispiellose staatliche Förderung erfährt. Der Schritt vom Detektor zum Röhrengerät bringt den Durchbruch bei der Qualität; eine Entwicklung, die Hermann Papst technisch und experimentell mitvollzieht und innovativ begleitet.
Die Verbreitung des Volksempfängers zählt zu den wichtigen Elementen
der Rundfunkpolitik von Hitler und Goebbels.
Die Massenproduktion von Rundfunkgeräten führt zu einem
Aufblühen der einschlägigen Industrien des Deutschen Reiches
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Die Lizenzeinnahmen aus der Lizensierung des Lautsprechers des Volksempfängers, der sich insgesamt auf zehn Millionen Apparate beläuft, bringen eine gewisse Sicherheit für den risikofreudigen Ingenieur, der beim Eintreffen einer größeren Zahlung im Jahr 1943 – so der Bericht eines Sohnes – morgens die ganze Kinderschar im elterlichen Schlafzimmer versammelt, um gemeinsam mit ihnen und seiner Frau aus Dankbarkeit für diesen Geldsegen ein Vaterunser zu beten.
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Not macht erfinderisch Schwarzmarktzeit
Da die Deutsche Reichsmark in der Nachkriegszeit wenig wert hat, wird viel getauscht.
Zu den Rennern, mit denen sich Nahrungsmittel und rare Rohstoffe eintauschen lassen, zählen elektrische Kochplatten.
Auch die ländlichen Haushalte sind an solchen modernen Kochplatten mit langer Lebensdauer interessiert und die Bäuerinnen zahlen mit der damaligen Goldwährung, mit Butter, Eiern, Rauchfleisch, Kartoffeln oder Getreide. Hermann Papst beginnt mit Hilfe einiger Mitarbeiter solche Kochplatten zu fertigen, sowie elektrische Tauchsieder, die unter dem Marktnamen Integral verkauft werden.
Dreistufige Kochplatte
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Tauchsieder Integral
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Ein drittes innovatives Erzeugnis der Erfinderwerkstatt von Hermann Papst stellt das Angelgerät Delphin dar. Es verfügt über eine Weitwurfrolle mit automatisch umschaltbarem Zweiganggetriebe.
Angel-Weitwurfrolle Delphin
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Zu den preiswerten und in hohen Stückzahlen fabrizierten Tauschprodukten zählen ebenfalls Topfuntersetzer aus Holz.
1945 liest Hermann Papst zufällig die Annonce eines Chemiekonzerns, der für Reichsmark beträchtliche Mengen überzähligen salpetersauren Natrons in Holzfässern anbietet. Er glaubt dass die Chemikalie gut als Düngemittel nutzbar ist und kauft einige Fässer. Nach ein paar Tests mit denen er seine Vermutung bestätigen kann, verkauft er das Natron an Bauern in der Umgebung.
So hält sich die Familie Papst mit dem Verkauf von Kochplatten, Tauchsiedern, Angelgeräten, Topfuntersetzern und Dünger finanziell über Wasser.
Mit der Währungsreform am 21. Juli 1948, an dem jeder deutsche Staatsbürger ein Kopfgeld von vierzig DM erhält und die Sparguthaben mit einem Zehntel des Reichsmarkwertes in die neue Währung übernommen werden, endet eine drückende Phase der deutschen Geschichte.