Familiengründung in St. Georgen im Schwarzwald
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Kombiniertes Elektrofederwerk
Auch die Gebrüder Steidinger, die in St. Georgen im Schwarzwald eine Spezialfabrik für Sprechmaschinen-Laufwerke und Zubehör aufgebaut haben, gehören zur Klientel des Patentmaklers Feldman. Dieser hat sich die Idee des französischen Erfinders Achille Boitel, ein Grammophon gleichzeitig mit einem Elektromotor und einem mechanischen Antrieb zu bestücken, zu Nutze gemacht, ein entsprechendes Produkt zur Serienreife entwickelt und zur Fabrikation und Vermarktung die Firma Dual- Motoren GmbH gegründet.
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Hermann Papst hat dieses kombinierte Elektrofederwerk, das unter dem Namen Dual in vielen Ländern der Erde ein Marktbegriff wird, für Feldman konstruiert und schrittweise optimiert. Da Feldmans Unternehmen den Elektromotor für diese neuartigen Grammophone bei der Firma Gebrüder Steidinger in St. Georgen fertigen lässt, ist er selbstverständlich in diese Geschäftsverbindung miteinbezogen. Deren Ziel und Zweck stellt die funktionssichere Umkonstruktion des sogenannten Boitel-Motors für das Dual-Grammophon dar.
Für diese Entwicklungsaufgabe entsendet Edward D. Feldman seinen Chefkonstrukteur nach St. Georgen. Am 22. März 1928 tritt Hermann Papst bei der Firma Gebrüder Steidinger seine Aufgabe an, diese Grammophonmotoren fortlaufend zu verbessern und die einwandfreie, fabrikationsmäßige Motorenherstellung zu überprüfen.
Hermann Papst kommt 1928 als Konstrukteur nach St. Georgen
im Schwarzwald und arbeitet zunächst für das Unternehmen
der Gebrüder Steidinger, das später unter den Namen Dual firmiert.
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–Dual-Koffergrammophon als Weekenders Traum
1931 beginnt die Produktion von Dual-Grammophonen als Kofferapparaten. Ein Marktangebot mit legendärer Aura und Beliebtheit für die freizeit- und picknickselige Konsumgesellschaft. Ein Artikel, der das Unternehmen der Gebrüder Steidinger groß macht.
Für den 31. Dezember 1932 liegt eine Gehaltsabrechnung für Hermann Papst von der Firma Gebrüder Steidinger vor. Hier wirkte er zunächst in einem freiberuflichen Vertragsverhältnis, und ab dem 1. Juli 1933 ist Hermann Papst Angestellter der Firma Steidinger, die ab 1935 unter dem Namen Dual firmiert.
Das Unternehmen der Gebrüder Steidinger erlebt in den 1920er Jahren eine außrgewöhnliche Expansion. 1927 werden bereits täglich eintausendfünfhundert Laufwerke produziert. Im gleichen Jahr beginnt man mit der Fertigung der von Hermann Papst entwickelten Dual-Motoren.
Der Papscht isch en Inschenör, der iis helfe kaa
In der jungen Industriestadt St. Georgen, sind 1925 eintausendfünfhundertvierundvierzig der Einwohner Fabrikarbeiter. Deshalb trifft sie die schwere Depression der Weltwirtschafts- und Weltagrarkrise von 1929 bis 1933 besonders. Das Unternehmen der Gebrüder Steidinger, das in jenen Jahren ausgesprochen boomt, bleibt jedoch verschont. Seniorchef Christian Steidinger, der Hermann Papsts Verpflichtung nach St. Georgen zu kommen vorantreibt, weiß die Kompetenz des jungen Konstrukteurs zu schätzen. Christian Steidinger ist überzeugt: Der Papscht, des isch en Inschenör, der kaa iis helfe.
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Mathilde Steidinger
Der Umstand, der Hermann Papst in die Bergstadt im Badischen führt, ist ohne Zweifel mit einer reizvollen, beruflichen Aufgabe verbunden. Doch er bleibt, weil er hier die Frau findet, mit der er ein gemeinsames Leben aufbauen und eine Familie gründen will.
Witwe Barbara Steidinger lebt mit ihren vier Töchtern Anna, Caroline, Mathilde und Babette, in finanziell bescheidenen Umständen, erzieht sie jedoch zu arbeitsamen, haushälterischen und fürsorglichen Menschen.
Mathilde, 1898 als dritte der vier Steidinger-Töchter geboren, geht in der damals üblichen Weise nach der Beendigung der Schule zu einer Familie in Frankfurt am Main in Stellung. Hier lernt sie was sie als künftige Ehefrau und Mutter können sollte: Kochen, Haushaltsführung, Kindererziehung und häusliche Krankenpflege. Wieder daheim ist sie in der St. Georgs-Apotheke bei dem Apotheker von Langsdorff tätig, nimmt mit ihren Schwestern engagiert am Leben der evangelischen Kirchengemeinde teil und unterstützt die Mutter im Hauswesen.
Mathilde Steidinger und Hermann Papst um 1930
Mit Mathilde bin ich voller Zuversicht
Hermann Papst gefällt die junge Mathilde Steidinger und er spricht sie an einem Sommertag des Jahres 1928 im Hirschgarten an.
In den folgenden Monaten wirbt der geachtete Wiener Ingenieur, um Zuneigung und Liebe der tugendhaften Schwarzwälderin. Er schickt des öfteren durch das nahe Café Kammerer ein Kännchen Kaffee mit Kuchen in die Apotheke und sendet gelegentlich Blumengrüße. Auf jeden Fall gewinnt Hermann Papst so Zugang und Aufnahme in die Familie der Witwe Barbara Steidinger.
Im Spätjahr 1929 schreibt er an die künftige Schwiegermutter:
Liebe Mama Steidinger!
Bitte lassen Sie mich so zu Ihnen sagen, da ich Ihnen gerne ein Sohn werden möchte. So allein jetzt mit mir ist’s mir ganz eigen zumute. Aber ich fühle es so sehr, daß mir ein Leben ohne Ihre Mathilde unsagbar trostlos wäre.
Ich bitte Sie daher, die große schmerzliche Güte zu haben, mir Mathilde zur Frau zu geben. Dafür verspreche ich, Ihnen immer ein guter Sohn sein zu wollen und mit Mathilde ein rechtes Leben zu führen. Ich werde es immer wissen, wozu mich ein herzliches und wahres Anvertrauen verpflichtet. Ich muß wahre Liebe über Alles schätzen und kann ich mich daher nicht selbst darum betrügen. Mit Mathilde bin ich voller Zuversicht fürs Leben und danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie Mathilde haben.
In Erwartung Ihrer gütigen Zustimmung grüße ich Sie herzlichst
Ihr Hermann Papst
Mathildes Mutter hat dem Verlöbnis gern zugestimmt. Doch bis zur Heirat am 25. Juli 1931 dauert es noch drei lange Jahre; denn der Grundstock für einen eigenen Hausstand will erarbeitet und erspart sein.
In der Gerwigstraße 37, im Herzen der Stadt, findet das junge Paar eine überaus geräumige Mietwohnung.
Familienleben
Nachdem sich nacheinander fünf Kinder in der Familie Papst einstellen, zunächst die drei Söhne Hans Dieter (1932), Günter Helmut (1933) und Georg Friedrich (1935) und dann die Töchter Hannelore Else (1937) und Ulrike Mathilde (1941), erfordern Haushalt und Kindererziehung die ganze Kraft der Mutter.
Trotz der ökonomisch beengten Lebenssituation, trotz der Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre beschreiben die Söhne und Töchter von Mathilde und Hermann Papst ohne Ausnahme ihre Kindheit und Jugendzeit als behütet, harmonisch und glücklich.
Hermann Papst ist meist in seine Arbeit vertieft und hat wenig Zeit für gesellige Ablenkungen oder Freizeitunternehmungen. Er schätzt es, dass seine Ehefrau ihn so tatkräftig unterstützt und durch ihre ambitionierte Art seine Zurückgezogenheit ausgleicht.
Dennoch erleben die Kinder ihren Vater als liebevoll und registrieren die seltenen, deswegen umso eindrücklicheren Anflüge von Wiener Charme und Witz.
Den Wunsch des Familienvaters den Führerschein zu machen, verwehrt ihm seine Frau, nachdem er einmal beinahe bei einem Überholungsmanöver einen Zusammenstoß verursacht und ein anderes Mal bei der Fahrstunde in eine Steinmauer in der Nähe des Bahnhofs fährt. Deshalb fahren ihn seine Kinder später oft.
Hermann und Mathilde Papst mit ihren Kindern
(von links Hans Dieter, Günter, Ulrike, Hannelore und Georg)
in der unmittelbaren Nachkriegszeit